°

Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend / Meine Straße, mein Zuhause, mein Block / Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt … (Text: Sido)

Avenia Santa Raquel - Mein täglicher Weg zum Colegio. Als ich heute von der Schule nach Hause gelaufen bin, ist mir mal wieder bewusstgeworden, in was für einer Gegen wir eigentlich wohnen und arbeiten.

 

 

Ich verlasse das Schulgelände und laufe ein kurzes Stück auf einer staubigen Straße. Neben mir rote, zweistöckige Sozialbauten. Zwischen den Häusern ist nur wenig Platz und die Treppen scheinen sich zu kreuzen. Aus einigen Häusern kommt Reggeaton-Musik und die Balkone und Eingänge sind vollgestellt und behangen mit allem möglichem Krimskrams. Am Supermarkt „Cuentas“ vorbei, biege ich schließlich rechts in die Avenia Santa Raquel ein. Wie in den meisten Straßen unseres Viertels kommt man alle zehn Meter an einer „Tienda“ (einem Geschäft) vorbei. Es werden Gemüse, Obst, andere Lebensmittel und Haushaltswaren verkauft. Man findet jedoch auch immer wieder „Vulcanizaciones“ (Autowerkstätten) oder kleine, vollgestellte und dunkle Läden in denen Handwerkssachen und alle möglichen Elektronikgeräte verkauft werden.

 

Von der Avenia Santa Raquel gehen viele kleine Nebenstraßen ab. Die einen relativ breit mit recht schönen Häusern und Vorgärten, die anderen jedoch schmal, verstaubt und heruntergekommen. An diesen Unterschieden kann man sehen, dass man eigentlich nicht wirklich sagen kann, ob La Florida nun ein armes oder reiches Viertel ist. Natürlich ist es im Verhältnis zu Deutschland sehr arm, aber insgesamt ist es hier doch sehr gemischt.

 

Ich fühle mich mittlerweile richtig wohl in La Florida und lebe sehr gerne hier! Doch was mich immer wieder zum Nachdenken bringt sind die Menschen.

 

Auf unserem täglichen Weg zum Colegio trifft man mit der Zeit immer die gleichen Menschen und auch auf den Elternabenden meiner Klasse und auf Schulveranstaltungen habe ich mich nun schon öfters mit den Eltern der Kinder unterhalten. Sie kennen zu lernen und ein wenig mehr nach zu vollziehen wie sie mit ihren Kindern, also meinen Schülern, leben, ist wahnsinnig interessant. So lerne ich meine Klasse noch besser kennen und kann in schwierigen Situationen manches vielleicht besser verstehen.

 

Einen anderen Menschen sehen wir jeden Tag. Jeden einzelnen Tag steht ein Mann an der Kreuzung zur Avenia Santa Raquel und vertreibt sich seine Zeit. Manchmal putzt er den wartenden Autos die Scheiben, doch meistens läuft er einfach nur hin und her. Die meiste Zeit trägt er kein Oberteil und wie wir vermuten besitzt er kein zu Hause. Natürlich wissen wir nichts über diesen Mann, nichts über sein Leben und, und, und… Doch man kann ihm ansehen, dass es ihm sehr schlecht geht und er geistig schon lange nicht mehr sehr anwesend ist.

 

Wenn man die Avenia Santa Raquel entlangläuft, sieht man viele Menschen die genauso verwahrlost und fertig aussehen. Man könnte sagen, das Leben in ihrem Viertel und die Verhältnisse sind ihnen ins Gesicht geschrieben. Jeden Tag begegnen wir diesen und vielen anderen Menschen und mittlerweile ist das alles irgendwie zur Normalität geworden. Mit der Zeit fängt man an über all das hinwegzusehen. Die staubigen Straßen, das Leben in den Sozialbauten und auch die Armut der Menschen. Ob es gut oder schlecht ist, darüber hinwegzusehen, weiß ich nicht…

Wir als Freiwillige fallen vor allem in unserem Viertel sehr auf und das wird sich auch nicht ändern. An die Blicke aus den Autos heraus und von den Menschen auf der Straße hat man sich mittlerweile schon gewöhnt. Als Frau ist es jedoch manchmal schon sehr unangenehm des Öfteren Pfiffe oder Kommentare von Männern über sich ergehen zu lassen. Doch das ist ein anderes Thema… Was ich damit sagen will ist, dass wir immer auf irgendeine Art und Weise Fremdkörper in dieser Gesellschaft darstellen werden, egal wie gut wir uns integriert haben.

 

Doch umso schöner ist es zu sehen, dass z.B. die Kinder mit denen wir arbeiten all das gar nicht mehr wahrnehmen. Natürlich sind wir anders, doch wir haben uns alle super gut aneinander gewöhnt.

 

Auf irgendeine Art und Weise sind wir eben doch alle gleich.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0